höhere gewalt, schuldnerverzug, annahmeverzug
Uns haben in den letzten Tagen wiederholt Anfragen von Klienten aus der Baubranche erreicht. Diese Anfragen fußen auf der aktuellen Situation rund um das Coronavirus. Da die von den Anfragen betroffenen Themen von generellem Interesse für „Baurechtsklienten“ sind, möchten wir Ihnen dazu einige wichtige Informationen zukommen lassen.
1.) Höhere Gewalt :
Die häufigste an uns herangetragene Frage ist, ob die Situation rund um das Coronavirus einen Fall von „höherer Gewalt“ darstellt: der Oberste Gerichtshof (OGH) hat sich bereits vor 15 Jahren im Zusammenhang mit dem Auftreten der Infektionskrankheit SARS mit der Frage beschäftigt, ob diese Krankheit höhere Gewalt begründet. Der OGH hat diese Frage bejaht. Man kann deshalb davon ausgehen, dass es sich auch beim Coronavirus um einen Fall höherer Gewalt handelt. Beachten Sie allerdings, dass ungeachtet dessen in jedem einzelnen Fall zu prüfen ist, ob ihr Unternehmen oder Ihr Vertragspartner auf Grund des Auftretens des Coronavirus unverschuldet verhindert war, die ihm obliegende Leistung – zeitgerecht – zu erfüllen.
In diesem Zusammenhang wird zu prüfen sein, ob es unter Anwendung der pflichtgemäßen Sorgfalt möglich gewesen wäre, die betreffende (Bau-)Leistung fristgerecht zu erbringen. Die Beweispflicht obliegt dabei jenem Vertragspartner, der sich auf den Eintritt der Umstände beruft, die es ihm unmöglich machten, die Leistung rechtzeitig zu erbringen.
2.) Verzug / Vertragserfüllung :
Die zweite wichtige Frage im Zusammenhang mit der Erfüllung von Verträgen lautet:
Welche Auswirkung hat ein durch Corona verursachter Verzug bei der Vertragserfüllung?
Wenn ein Bauunternehmen, ein Ziviltechniker oder ein anderes zu einer Werkleistung verpflichtetes Unternehmen die ihm obliegende Leistung nicht zum vereinbarten Zeitpunkt erfüllt, so liegt ein sogenannter „Schuldnerverzug“ vor. Welche Rechtsfolgen einen Schuldnerverzug auslöst, hängt primär davon ab, ob den Schuldner (Werkunternehmer) ein Verschulden trifft.
Liegt auf Seiten des Werkunternehmers kein Verschulden vor, wie z.B. im Falle höherer Gewalt, so spricht man vom sogenannten objektiven Verzug. In einem solchen Fall kann der Gläubiger (Auftraggeber=AG) entweder der späteren Leistungserbringung zustimmen oder, unter Setzung einer angemessenen Nachfrist, vom Vertrag zurücktreten. Wichtig ist, dass in diesem Fall dem AG keine Schadenersatzansprüche zustehen! Solche würden nur dann bestehen, wenn den Schuldner am Verzug ein Verschulden träfe (subjektiver Verzug).
Auch im Falle des unverschuldeten Verzugs bei Vorliegen höherer Gewalt treffen den Werkunternehmer allerdings bestimmte Verpflichtungen. Einerseits ist der Werkunternehmer verpflichtet, seinen AG unverzüglich über den eintretenden Verzug zu informieren.
Andererseits trifft den Werkunternehmer, wie immer im Schadenersatzrecht, eine Schadensminderungspflicht. Dies bedeutet, dass der Werkunternehmer verpflichtet ist, den Schaden seines AG möglichst gering zu halten. Da dem Werkunternehmer die Beweislast dafür trifft, dass ihn am Verzug kein Verschulden trifft, kommt, wie so oft im Werkvertragsrecht, einer lückenlosen Dokumentation des Werkunternehmers große Bedeutung zu.
3.) Verzug des AG :
Schließlich stellt sich die Frage, was gilt, wenn der AG die ihm vom Werkunternehmer angebotene Leistung nicht annimmt? Man spricht in diesem Fall vom sogenannten „Gläubigerverzug“. Wesentlich ist, dass der Gläubiger zur Annahme der Leistung nicht gezwungen werden kann. Wenn er die Leistung allerdings zur vereinbarten Zeit und trotz Erfüllungsbereitschaft des Werkunternehmers nicht annimmt, dann befindet er sich im sogenannten Annahmeverzug. Die Folgen des Annahmeverzugs sind schlagwortartig: Übergang der Preisgefahr, Reduktion der Sorgfaltsanforderungen an den Schuldner, Möglichkeit des Schuldners zur Hinterlegung, allfälliger Anspruch des Schuldners auf Ersatz seiner Aufwendungen.
Für das Werkvertragsrecht wichtig ist, dass Annahmeverzug auch dann vorliegt, wenn der AG eine für die Erfüllung durch den Werkunternehmer erforderliche Mitwirkung unterlässt (z.B. Beibringung der Baubewilligung, Planlieferung... etc.). Hier sieht das Werkvertragsrecht eine eigene Rücktrittsmöglichkeit des Werkunternehmers vor. Er hat dem AG allerdings vor dem Rücktritt eine angemessene Nachfrist zu setzen. Im Zusammenhang mit Corona ist wichtig, dass das Rücktrittsrecht des Werkunternehmers auch dann zur Anwendung gelangt, wenn es nicht durch das Unterbleiben der Mitwirkung, sondern durch andere vom AG zu vertretende Umstände zu einem für den Werkunternehmer unzumutbaren Schwebezustand kommt. Ob ein vom AG zu vertretender Umstand vorliegt, richtet sich primär nach der vertraglichen Vereinbarung. Es ist zu fragen, ob der den Schwebezustand verursachende Umstand der Risikosphäre des AG oder jener des AN zuzuordnen ist. Diese mitunter schwierige Zuordnung behandeln wir in unserem nächsten Newsletter in den kommenden Tagen.
4.) Zusammenfassung :
- Corona stellt einen Fall höherer Gewalt dar.
- Gerät das Bauunternehmen wegen Corona bzw. der dadurch verursachten Umstände in Verzug, dann kann der AG auf Erfüllung bestehen oder unter Setzung einer angemessenen Nachfrist vom Vertrag zurücktreten.
- Da Corona einen Fall höherer Gewalt darstellt, kommen dem AG mangels Verschuldens beim AN keine Schadenersatzansprüche zu.
- Unterlässt der AG eine für die Werkherstellung notwendige Mitwirkung oder kommt es durch andere vom AG zu vertretende Umstände zu einem für den AN unzumutbaren Schwebezustand, dann kann der AN unter Setzung einer angemessenen Nachfrist vom Vertrag zurücktreten.